Eine Rundreise ist ein ständiger Abschied und ein gleichzeitiges Ankommen. Die Form des Reisens verbindet die Freude mit der Traurigkeit, sie lässt die Neugier aufhorchen und das Bekannte wohlig erscheinen. Das alte Ceylon. Spirituelle Orte. Verschlungene Wege. Allseits Begegnungen. Sri Lanka stimmt philosophisch. Von Jennifer Latuperisa
Zu Besuch im Garten. Ihre Augen funkeln. Es ist eine Mischung aus Neugier und Freude. Ihr Lächeln ist groß und breit und passt sich ihrer Nase an, die für das hübsche Gesicht tatsächlich zu groß geraten ist. Ihr Name ist Dishie. Es ist ihr Garten. Spartanisch ist er, aber grün. Sie streicht sich mir über die Hand, kocht Tee, serviert dazu Kekse und Banane. Ansonsten sagt sie kaum ein Wort. Sie kichert nur. Ein wenig verschämt, wahnsinnig leise. Fernando, mein Fahrer, übersetzt die wenigen Worte. Meine bloße Anwesenheit versetzt ihn in Stolz. Eine Journalistin, aus Deutschland, höre ich ihn sagen. Ja, sie sieht nicht so deutsch aus. Ihr Vater ist Indonesier, fügt er hinzu, als wäre ich nicht anwesend. Und dann winkt er mit einem Brief, den ich die gesamte Reise nie zu Gesicht bekomme. Irgendetwas Offizielles muss es sein. Mit einem wichtigen Stempel and meinem Namen. Noch ein Foto von mir mit ihr und ihrem Mann, dessen goldener Elefantenring mir imponiert. Auch aus Indonesien, erklärt er, und zeigt auf das Schmuckstück. Aha, antworte ich, ein wenig hilflos. Und unser Hund ist ein Schäferhund aus Deutschland, sagt er zum Abschied. So, so.
Im Glasbodenboot. Sein Gebiss ist nicht mehr vollständig und sine Ausdruck auch nicht der freundlichste. Meine Füße stecken in einer Meeressuppe, die sich wahrscheinlich schon seit Wochen in dem Glasbodenboot gesammelt hat. Der Motor knattert. Mein Blick darf nicht auf das milchige Glas am Bootsrumpf fallen. Ich werde sonst krank. Also schaue ich geradeaus. Auf das Meer und den dramatischen Himmel, der sich just in diesem Moment wolkenbehangen zeigen muss. Hikkaduwa war einst das inseleigene Hippiezentrum. An den Stränden tanzten die Bärtigen und Freizügigen. Dann, im Jahr 2004, kam der wütende Tsunami und überrollte den gesamten Ort. Ein leiser Hauch der Melancholie liegt noch heute in der Luft. Auch wenn die Hotels wieder aufgebaut wurden, selbstverständlich unmittelbar am Strand.
Zwei Minuten im klapprigen Boot, und der Motor geht aus. Schau, schau, ruft der Mann auf English. Ich schaue durch das Glas und sehe abgestorbene Korallen. Eine Pracht, die einst war und heute versteinert und farblos im Meer begraben ist. Auf dem kurzen Rückweg zum Strand soll ich noch ein paar Fische mit Toastbrot füttern und Trinkgeld geben, für die Pflege des Gefährts. Schade – Sri Lanka soll doch ein Schnorchelparadies sein. Vor der Küste Hikkaduwas allerdings nicht mehr. Die Strände jedoch sind malerisch. Palmen biegen sich über den goldgelben Sand. Die Wellen umspülen die Beine in sanften Wogen. Aber nicht schwimmen, warnt mich Fernando. Das Meer hier ist unberechenbar, Strömungen entstehen, die selbst Ortskundigen nicht immer kennen. Und mit dieser Aussage ist er übervorsichtig. Badeurlaub, sagt Fernando, macht man besser an der Ostküste. Dort gibt es ein paar geschützte Buchten. Vom Boot zurück in Auto. Ein Toyota. Fernandos ganzer Stolz. Der offizielle Brief liegt hinter der Windschutzscheibe. Er gilt anscheinend auch als eine Art Parkschein.
Bei den Holländern. Der Himmel verfärbt sich orangenrot. Zeit für einen Mango-Bellini. Zeit für die Korbsessel in der dritten Etage des Amangalla Hotels. Der Blick schweift auf die schiefen Dächer, über die gelben Tonziegel, gen Meer. Eine krumme Kirche schmückt den Ausblick. Nichts, bis auf den warmen Tropenwind, erinnert an Asien. Galle Fort liegt ebenfalls an der Westküste Sri Lankas. Die dicken Mauern der Festung haben die 300 bis 400 Jahre alten Häuser vor der tödlichen Welle bewahrt. Und mit ihnen auch die einzigartige Atmosphäre aus der Kolonialzeit. Schmale Sträßchen führen vorbei an kleinen, weiß getünchten Häusern. Die Festungsmauer ist Tummelplatz für Schlangenanbeter, Schmuckverkäufer, Touristen und Mönche. Es ist ein buntes Durcheinander.
Fernando führt mich auf das Rondell mit Blick auf die Meera-Moschee und den Leuchtturm von Galle Fort, übrigens ein Ort mit portugiesischen und holländischen Wurzeln (Galle heißt Hahn im Niederländischen), während jungen Burschen mit wild gewachsenem Haar Anlauf nehmen und sich in die Tiefe stürzen. Die weltbesten Klippenspringer, schwärmt Fernando, der wahrscheinlich noch nie etwas von Acapulco gehört hat, als mich der hübscheste Jungen fragt, ob er für mich (und ein paar Dollar) die Mauer 15 Meter hinabstürzen soll.
Hier will ich verweilen. Stundenlang auf der Festung hocken und die Menschen vorüberziehen sehen. Frauen in Saris, Männer in weißen Hemden und gegeltem, gescheiteltem Haar.
Die Kolonialschönheit – wahrlich ein Himmel auf Erden. Herzliche Höflichkeit, glänzende Holzdielen und polierte Granatäpfel. Den eigenen Butler und einen Spatherapeuten mit wohltuenden Händen. Fernando ist auch sichtlich begeistert und versucht geschickt, sich im Hotel ein Zimmer zu erschleichen. Er ist ein charmantes Schlitzohr. Doch hier bewegt der offizielle Brief in seiner Hand nicht einmal die Augenbraue des Hotelangestellten.
Kurvenreich zum Zahntempel. Fernando ist Fahrer und Führer. Nicht gerade der typische Singhalese. Wahrscheinlich haben wir uns deshalb von Anfang an gemocht. Dabei ist sein erster Satz bereits eine Lüge. „Ich heiße Fernando.“ Es ist sein Nachname. Doch für „seine deutschen Touristen“ wesentlich leichter als sein Vorname Pryantha. Dafür aber auch nicht so originell.
Doch Namen sind nur Schall und Rauch. Und auch seine hart erworbenen Sprachkenntnisse wären irrelevant im Vergleich zu der Fähigkeit, die in Sri Lanka lebenswichtig ist: Auto fahren. Bremsen und Kuppeln können viele. Doch wer kann schon vor einer Serpentinenkurve ein überfülltes Tuk Tuk auf der Gegenspur überholen und gleichzeitig den bunten Omnibus im Auge haben, der – ohne auch nur an die Bremse zu denken – den Berg hinabrast. Kaum einer überholt so geschickt wie Fernando. Die Augen halte ich mir trotzdem zu. Sicher, ist sicher. „Ach, Frau Jennifer, in all den Jahren kein Unfall. Deswegen ich offiziell mit Ihnen unterwegs.“ Gut zu wissen, der offizielle Brief hilft auch bei Gegenverkehr.
Nach den Serpentinen folgt Kandy, eine Stadt im Zentralgebirge Sri Lankas. Ehemalige Hauptstadt des singhalesischen Königreichs. Das Herz der Insel. Pilgerstätte der Buddhisten, wird hier doch noch eine Reliquie bewahrt, die zugegeben für Ungläubige ungläubig klingt. Ein Eckzahn Buddhas. Wie dieser Zahn nach Sri Lanka kam und eben nach Kandy erzählt Fernando ausführlich, wurde er doch von einer hübschen indischen Prinzessin im Haar auf die Insel geschmuggelt. Ja richtig, im Haar. Heute versteckt sich der Zahn vor den Augen des Betrachters in einem Goldschrein, hinter dicken Holztüren, in einem eher schlichten Tempel, bemisst man seine Bedeutung für Buddhisten. Aber die Stadt ist toll, sagt Fernando, und flunkert dabei auch ein wenig. Denn Kandys Highlights lassen sich and zwei Finger abzählen, der Zahntempel und das milde Klima.
Rüssel tanzen im Sonnenuntergang. Die Armaturen bestehen nur aus verrosteten und ehemaligen Köpfen. Ich gucke skeptisch, als ich auf die Ladefläche des Jeeps steige, der mich durch den Nationalpark Kaudulla fahren soll. Ich warte auf Fernando, doch der kommt nicht. Er will warten. Bloß keine Elefanten. Vor den Tieren hat er Angst.
Während der Fahrt durch das grüne Dickicht wird mir das Naturwunder Sri Lankas bewusst. In keinem anderen der Welt gibt es mehr Elefanten als auf diesem Eiland im Indischen Ozean. Nur ein Bruchteil der Population lebt in Reservaten, der größte Teil streift genüsslich durch die Landschaft. Ab und and Verkehrschaos verursachend. Aber auch die restliche Fauna ist atemberaubend. 600 Leoparden leben auf der Insel, Ceylon-Hutaffen, Sumpfkrokodile, Warane und Eulenschwalme.
Ein Graukopfadler begrüßt mich mit einem Sinkflug in der Hochsavanne. Die Sonne verabschiedet sich langsam am Horizont, und wir schlängeln und durchs Gebüsch, um am Ende an einen See zu gelangen. Bevölkert von zig Elefanten. In allen Variationen. Groß und klein. Dick und schlank. Stehend und liegend. Es ist eine rührende Idylle. Ein ganz besonderer Moment. Just hier wird Sri Lanka in jedem Herz verankert. Der Blick könnte ewig auf den Dickhäutern verweilen, und es ist fast ein schmerzhafter Abschied, als wir uns schon wieder gen Ausgang bewegen. Und dort wartet Fernando, verlässlich, wie er ist. Er lächelt und winkt begeistert. In der Hand mal wieder seinen offiziellen Zettel, der mittlerweile Gebrauchsspuren aufweist. Die gesamte Nachbarschaft schaut mich an, alle kennen meinen Namen.
Wolkenmädchen. Er ist älter als mein Opa. Zumindest sieht er so aus. Und sein Deutsch ist kaum zu verstehen. Es klingt ein wenig, als würde er einen bereits verfassten Reiseführer rezitieren. Nachfragen unmöglich. Aber der tapfere, ältere Kerl ist mein Lebensretter. Denn Sigiriya zu bezwingen, ist eine Sache, Sigiriya zu verlassen, eine andere. Besonders wenn man rutschige Schläppchen trägt wie ich. Weil ich schlichtweg dämlich bin. Es sah so harmlos aus. Am Anfang zwischen den ehemaligen Lustgärten des König Kassapa I., der sich unrechtmäßig den Thron erschlich. Aus Angst, von diesem gestürzt zu werden, ließ er sich einen Palast auf 200 Meter hohen Monolithen bauen. Das singhalesische Pendant zum australischen Ayers Rock. Um heute die Ruinen des Palastes zu bewundern – er war aus Holz gebaut und hat die Jahrhunderte deshalb nicht überlebt –, muss ich also um 2000 Stufen erklimmen. Klingt anstrengend. Ist anstrengend. Aber vor allem ist es hoch. Und die Konstruktion ist nicht besonders vertrauenserweckend. Aber es lohnt sich. Trotzdem empfiehlt es sich, schwindelfrei zu sein.
Sigiriya bedeutet Löwenfelsen. Vom einstigen Eingang zu den letzten Palaststufen, der anscheinend einmal durch einen Löwen führte, haben nur noch die Tatzen den historischen Verfall überlebt.
Aber was sind das? Silikonbrüste aus dem 1. Jahrhundert? Die Fresken an den Felsen, der erste Stopp zum Plateau, zeigen die sogenannten Wolkenmädchen. Eine Sammlung and hübschen, leibhaftigen Frauen hatte der König einst. Aus aller Welt kamen sie. Und sie hatten eines gemeinsam: unnatürliche Brüste. Vielleicht wurde auch bei der Restauration ein wenig geschummelt. Fest steht, das 20 wunderschöne Zeichnungen erhalten geblieben sind, allein dafür lohnt sich der Anstieg.
Ich bin ganz gerührt von der Aufmerksamkeit der Menschen. Immer ein Lächeln, immer eine nette Geste. Kein böses Wort. Fast natürlich wirkt dabei der klitzekleine Hintergedanke, den hier jeder hat. Da bin ich mir sicher. Für den Führer am Felsen war es die Aufmerksamkeit der Kollegen, als er mit der VIP-Lady über den Wassergraben zu seinen Kollegen stieg. Für jeden Verkäufer die kleine Provision. Für Fernando ist es die Erwähnung in dieser Geschichte. Macht nichts, nach dieser schönen Reise werde ich auch mit einem Hintergedanken wiederkehren: sich endlich einmal wie ein VIP zu fühlen.
Quelle: Jeniffer Latuperisa, reisen exclusiv, Frühjahr/Sommer 2013, S. 87-91